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Salutogenese: Der Fokus der Medizin auf das Dysfunktionale und die Suche nach dem Heilen

Gesundheit ist mehr als das Fehlen von Krankheit. Und umgekehrt. Wie sind es gewohnt, nach dem zu suchen, was nicht oder schlecht funktioniert. Um es entweder zu optimieren oder auszuschließen. Etwas anderes scheint uns nicht möglich. Und war in allen Bereich, was besonders tragisch in der Medizin ist. Aber wir haben die Idee der Salutogenese, die das alte Konzept der Defizit-Orientierung (Fehlerfahndung) auf den Kopf stellt. Mit dem vorliegenden Buch gelingt uns ein besser Verständnis von Krankheit und Gesundheit.

Wie beschrieben komme ich aus dem Gesundheitsbereich und bin durch meine Krankenpfleger-Ausbildung medizinisch vorgebildet. Ich kenne somit den Medizinbetrieb von innen her, aber natürlich auch von außen als Patient, als ganz normaler Bürger, der hin und wieder zum Arzt geht. Daher ist die Aussage ganz klar: Unsere Medizin, von Haus- bis Facharzt, von Chirurg bis Psychiater kuckt nicht nach dem was gut ist und funktioniert, sondern nach dem was der Fehler ist, einen Fehler hat oder falsch ist.

Wenn man sich mit Evolution beschäftigt und sich mit der Entwicklung der Organismen beschäftigt, stößt man irgendwann auf bemerkenswerte Erscheinungen, die auf der einen Seite sehr unvollkommen angelegt sind, auf der anderen Seite irgendwann offenbar eine biologische Notwendig besaßen, die der Evolution aber nun egal sind. Zu nennen sind hierbei etwa die Nasennebenhöhlen, die bei manchen regelmäßig großen Ärger machen und die keinen echten biologischen Sinn mehr erfüllen; oder der Verlauf bestimmter Blutgefäße; es gibt viele Beispiel, die hier zu weit führen würden. Daher ein Zitat:

„Die Resultate sehen zwar oft nach Perfektion aus, sind aber das genaue Gegenteil“, konstatiert der britische Evolutionsbiologe Steve Jones vom University College London. „ Wenn man sich die Baupläne und Gene der Organismen genauer anschaut, entdeckt man Flickschusterei an alten, inzwischen unbrauchbaren Konstruktionsprinzipien und gnadenlose Kosten-Nutzen-Rechnungen.“ Die Folgen können wir an uns selbst spüren. Denn unsere Evolution ist ein wichtiger Grund, warum wir in dieser scheinbar perfekten Welt trotzdem immer wieder krank werden.
Quelle wissenschaft.de: No Body is perfekt

Medizinische Gutachten als Höhepunkt der Defizitkultur

Ich selber habe in einem Familiengerichtsverfahren einige schrecklich Erfahrungen mit der Psychologie und vor allem der Psychiatrie machen müssen. Es sei aber angemerkt, dass ich beiden Fachbereichen nur das Beste unterstelle und weiß, dass sie schon vielen Menschen geholfen haben. Dennoch liegt sowohl in der Psychologie als auch in der psychiatrischen Medizin der Hauptfokus auf den Defiziten und nicht auf dem, was funktioniert. Das ändert sich zwar seit einiger Zeit, wenn es aber zu einem „Gutachten“ kommt, ist es vorbei mit der Suche nach den gesunden Anteilen (Salutogenese).

Pathogenese steht der Salutogenese hier eindeutig gegenüber. In medizinischen Gutachten wird – nach meiner Erfahrung – mit Gewalt versucht, etwas zu finden, was einer Behandlung bedarf. Insbesondere dann, wenn viel Geld dafür bezahlt wird und der Staat (in Form von Gerichten zum Beispiel) der Auftraggeber ist. Und wundersamerweise wird IMMER etwas gefunden, was man behandeln kann oder muss, was falsch ist, krank, ein Fehler und ein Defizit. Wie kommt das?

Nun, kein Mensch ist vollkommen, niemand ist perfekt, wie der Volksmund weiß. Jeder wird dieser Aussage zustimmen und dennoch nach Fehlern fahnden, an Optimierungen, an Perfektion arbeiten. Es ist aber für jeden offensichtlich, dass kein Körper perfekt ist – und auch keine „Seele“, keine Psyche, kein Gehirn. Und dennoch wird behandelt und korrigiert, eingegriffen, vernichtet und entfernt. Pathogenese halt. Das tragische daran ist, dass nicht nur Medizin und Psychologie so funktionieren, sondern wir selbst diese Sichtweise über lange Zeiträume verinnerlicht haben. Mindestens aber seit der Zeit der industriellen Revolution und dem Aufkommen des Kapitalismus. Denn dieser ergreift und optimiert wirklich alles und repariert sein Menschenmaterial, oder scheidet es aus. Ganz etwas anderes als „Salutogenese“ also.

Und jetzt stehen wir da mit einem seltsamen Gefühl im Bauch. Daher wird es Zeit, sich diese Sache, die Gesundheit – nicht Krankheit – einmal genauer anzuschauen und unsere Medizin vom Kopf auf die Beine zu stellen. Oder anderes ausgedrückt: Mit dem Herzen zu sehen und zu heilen, mit dem Herzen Mensch zu sein und sich am Unvollkommenen zu erfreuen – und zu gesunden.

Schatzsuche oder Gesundheitswesen

Nicht nach Fehlern und Störungen, die zur Krankheit führen, will er suchen, sondern nach schöpferischen Kräften, die seelische und körperliche Gesundheit ermöglichen: Gesundheit als Schatzsuche im Spiel, im Dialog und in der Suche nach Lebenssinn. Dabei stützt sich der Autor zum einen auf das Salutogenese-Konzept des amerikanisch-israelischen Gesundheitsforschers Aaron Antonovsky und dessen Ausführungen zum »Kohärenzgefühl« des Menschen. Zum anderen bezieht er so unterschiedliche Geschichten wie »Tausendundeine Nacht«, »Pu der Bär« und »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« in sein Erklärungskonzept ein und ebenso die Biografien von Künstlern und Schriftstellern wie Joan Miró, Jean-Jacques Rousseau oder Albert Camus. 

»Alles das, was in der ’schönen‘ Literatur schon lange bekannt ist, soll anhand neuer Modelle zur Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung weiter verdeutlicht werden. Seit geraumer Zeit richtet sich nämlich das Interesse nicht mehr nur auf die Entstehung von Krankheit (Pathogenese), sondern auch auf die Entstehung von Gesundheit (Salutogenese).« Oder anders formuliert: »Was haben eigentlich ‚Gute Nacht-Geschichten‘?‘ mit Gesundheit, und ‚die Unfähigkeit zum Dialog‘ mit Krankheit zu tun?« Eckhard Schiffer

Ein anspruchsvolles Lesebuch, das deutlich macht, wie ein als sinnvoll empfundenes Leben und der Austausch mit anderen Menschen uns nachhaltig stärken.

Gesund Leben (stern Spezial)

Wie Gesundheit entsteht – Salutogenese: Schatzsuche statt Fehlerfahndung

von Eckhard Schiffer
Buch hier kaufen
184 Seiten, Beltz Verlag (2013)
ISBN 3407220901
Taschenbuch 5,39 Euro

Leseprobe Wie Gesundheit entsteht (Salutogenese)

Salutogenese: Modell (nach A. Antonovsky), das im Gegensatz zum in der Medizin vorherrschenden Modell der Pathogenese die Entstehung von Gesundheit erklärt (Googles Wörtbuch).

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